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Wahrscheinlich hätte unser Boot den Weg von der idyllischen Petalas-Bucht, in der wir zwei Nächte geankert haben, auch ohne uns nach Messolonghi gefunden. Schließlich ist das viele Jahre Aglayas Heimathafen gewesen. Nach knapp zwei Jahren kehren wir nun dorthin zurück, erst um die bizarre Insel Oxia herum in den Golf von Patras, dann entlang am flachen Schwemmland und den Lagunen und schließlich in den Kanal von Messolonghi. Auch für uns ist es ein besonderes Gefühl, wieder hier einzulaufen. Wer ist noch da von denen, die wir hier kennen? Und wie geht es den anderen Seglern aus unserem Bekanntenkreis? Was haben sie erlebt? Und natürlich: Ist es im Sunset, der Marina-Bar, immer noch so nett wie vor zwei Jahren?

Wir werden herzlich und fröhlich empfangen. Unsere Freunde Angela und Walter sind da, als wir anlegen - übrigens auf genau dem Platz, auf dem wir vor zwei Jahren lagen. Auch die beiden Murings gehen immer noch komisch schräg ins Wasser. Da hat sich wohl nichts getan und wir müssen versuchen, unser Boot so gut wie möglich festzumachen. Schließlich wollen wir es für knapp zwei Monate hier alleine lassen.

Am Abend sitzen wir zu sechst im Sunset und erzählen alle von unseren Erlebnissen. Ein schönes Wiedersehen! Nicht nur Aglaya fühlt sich hier zu Hause, wir auch.

Bevor wir am 29. Juni die Heimreise antreten, gibt es noch einiges zu tun: Boot reinigen, aufräumen, Wäsche waschen, alles an Bord gut versorgen und jemanden finden, der unsere elektrische Bordtoilette reparieren kann, das Sommercover vorbereiten. Aber wir haben auch wieder unsere Fahrräder ausgepackt. Vielleicht schaffen wir es ja, vor unserer Abreise noch einen Ausflug an den Golf zu machen.

Gegenüber von den Ionischen Inseln Kefallonia und Ithaka, am südlichen Teil der westgriechischen Festlandsküste, beginnt eine eigenartige Landschaft, kurz vor dem Zugang zum Golf von Patras. Sie entspricht so gar nicht dem Klischee von den lieblichen griechischen Inseln oder überhaupt der Mittelmeerlandschaft. Im Hintergrund hohe karge Karst-Berge, davor zum Meer hin riesige Schwemmland-Ebenen der Flüsse Acheloos und Evinos. Es sind sehr fruchtbare Ebenen, Wein, Oliven, Gemüse, Obst werden hier intensiv angebaut - früher übrigens auch Baumwolle. Zwischen den Ebenen und dem Meer erstreckt sich eine riesige Lagunenlandschaft, nur von wenigen Fischern in Wellblechhütten bewohnt. Die kleinen Hütten stehen direkt am Wasser, teilweise bewegen sich ihre Bewohner nur mit Booten fort. Land und Meer sind hier von Ferne kaum zu unterscheiden. 

Die Lagunenlandschaft steht teilweise unter Naturschutz, hier leben Flamingos, Pelikane und viele seltene Tierarten. Das brackige Wasser ist teilweise nur wenige Zentimeter tief. Deshalb wird weiter östlich in Messolonghi (italienisch: Mezza Laguna) in riesigen Flachwasserbecken Salz in großem Umfang gewonnen, das beste Griechenlands. 

Schon in der Antike war das Gebiet dicht besiedelt und wohlhabend, hier wurden Schiffe und Soldaten für den trojanischen Krieg gestellt, man kann in Oinadeon noch eine antike Werft besichtigen. Oberhalb von Messolonghi wird die antike Stadt Plevrona mit damals 20.000 Einwohnern ausgegraben. 

Kultur- und Naturlandschaft, Land und Meer fließen hier eindrucksvoll ineinander.

Wir segeln zwischen den Ionischen Inseln (Kefallonia, Ithaka, Zakynthos und viele kleinere) und dem griechischen Festland. Die Inseln haben zum Teil hohe Berge, die kleinen sind kegelförmig, fast alle sind grün. 

Wir bewegen uns wie auf einem riesigen Alpensee, überall wo man hinschaut, Berge. Es gibt zwischen den Inseln und dem Festland viele kleine gemütliche und geschützte Ankerplätze und Buchten, aber auch Häfen wie Astakos gegenüber Ithaka oder Poros auf Kefallonia.   Die Entfernungen zwischen den vielen möglichen Plätzen sind nicht besonders groß, teilweise unter 10 Meilen, so dass man morgens nicht so früh los muss und abends immer noch einen Platz im Hafen oder in einer Bucht zum Ankern findet. Und die Tavernen in den Häfen lassen auch keinerlei Wünsche offen - und Fisch zum selber kochen oder braten gibts auch direkt vom Fischer.

Eine ganz wunderbare (Wasser-) Landschaft, entspanntes Segeln, und endlich ist der Sommer da - was will man mehr?

Und hier noch ein abendlicher Blick vom Ankerplatz in der Bucht von Astakos

Wir hatten ja schon vermutet, dass das mehrere Wochen lang stabile Hoch über Mitteleuropa dazu geführt hat, dass alle Tiefs daran vorbei in den Mittelmeerraum ziehen. Unbeständiges, eher kühles Wetter mit viel Regen und Gewitter - das ist im Mai und Juni in Griechenland eher ungewöhnlich. So hatten wir bisher unsere warme Kleidung noch nicht weggepackt.

Und jetzt wissen wir es genau: Die Omega-Wetterlage hat uns diese Schlechtwetterphase beschert: in Mitteleuropa ein beständiges Hoch und im Westen und Osten Tiefdruckgebiete. Normalerweise wandern die Wettersysteme, die für Griechenland relevant sind, von Nordwesten nach Südosten. Das Hoch über Mitteleuropa hat diese Bewegung blockiert. So konnten wir feststellen, dass die Temperaturen bei uns zu Hause in Deutschland häufig höher waren als bei uns am Peloponnes und im Ionischen Meer. Und unsere Freunde zu Hause haben uns schon um den Regen beneidet, weil es bei ihnen viel zu trocken war. Zuletzt haben wir auf Ithaka in Vathy drei besonders ungemütliche Tage verbracht: Dauerregen mit Gewittern und Starkwind. Die meiste Zeit haben wir unser Boot bewacht.  

Und warum Omega? Das Strömungsfeld um die beiden Tiefs und das Hoch sehen auf der Wetterkarte aus wie der griechische Großbuchstabe Ω. 

Inzwischen sieht die Wetterkarte anders aus. Das Omega ist verschwunden. Wir konnten bei Sonne und tollem Segelwind ans Festland nach Astakos segeln. Jetzt wird es jeden Tag wärmer, sodass wir immer häufiger unser Sonnensegel auspacken. 

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Irgendwann muss man die Leinen wieder losmachen, sonst erwischt einen das Poros-Syndrom (siehe Blogeintrag vom 24. Mai). Also haben wir am 8. Juni die einsame Marina von Argostoli verlassen. Und mit welchem Ziel? Poros - aber nicht das Poros im Saronischen Golf, nach dem wir das Syndrom benannt haben, sondern das kleine Poros auf der Ostseite von Kefalonia. Dort wurden wir von Spiros, dem energischen, fitten, netten und humorvollen Hafenmeister direkt an den neuen Schwimmsteg dirigiert, der in den Hafenführern und in Navionics noch gar nicht eingezeichnet ist („I want to see your beautiful money.“ heißt: Hafengebühr bezahlen). Obwohl hier mehrmals am Tag die große Fähre von Kyllini anlegt, ist es ein netter, ruhiger Ort mit einem ewig langen Kiesstrand.

Aber wie Odysseus damals wollten wir weiter, nach Ithaka. Wir mussten nicht wie er, der damals von Troja aus dorthin zurück wollte, zehn Jahre lang herumirren. Nur wenig mehr als 20 Seemeilen und wir waren da. Wir wollten in die Bucht von Vathy, dem Hauptort der Insel. Überraschung: draußen eher schwachwindig und bei der Einfahrt in die Bucht Wind mit Böen bis zu 40 Knoten. Kein guter Ankerplatz frei, die Pier voll. Da sind wir geflüchtet, wieder einige Seemeilen zurück nach Süden in die schöne und gut geschützte Ankerbucht Filiatro. Dort konnten wir gut vor Anker liegen, die Ruhe und die tolle Szenerie geniessen und ausgiebig im klaren türkisfarbenen Wasser schwimmen .

Wir konnten hier dann aber auch feststellen, dass gerade die Hochsaison begonnen hat. Hatten wir bisher nur vereinzelt Charterboote gesehen, kamen sie jetzt in immer größerer Zahl. Im Hafen von Vathy, das wir dann zwei Tage später bei ruhigem Wetter doch angelaufen haben, fühlten wir uns endgültig in die Hochsaison katapultiert. Wie an einer Perlenkette laufen hier die Boote ein, davon viele Katamarane. Die langen Piers sind schon ab dem frühen Nachmittag voll. In der Bucht wird fleißig geankert. Nach der Rushhour auf die freien Liegeplätze an der Pier können wir Katamarane mit mindesten zehn halbnackten jungen Männern mit suboptimaler Figur und schlechtem Musikgeschmack bewundern. Na ja, die haben eine Woche Urlaub, da muss was abgehen. Wir sind in Rente und haben Zeit. Aber vom Ästhetischen her gesehen empfinden wir Manches doch als Zumutung. Also: Wir sind in der Hochsaison in den Ionischen Inseln angekommen. Ist für uns gewöhnungsbedürftig.

Trotzdem: Es ist wunderschön hier. Und es gibt immer wieder nette Begegnungen mit anderen Seglern. Und schöne Ankerplätze werden wir auch weiterhin immer wieder finden.         

Trotz dieser ganzen Schönheit, die wir hier jeden Tag genießen dürfen, ist uns bewusst, dass offensichtlich die griechische Küstenwache, was Flüchtlinge betrifft, wohl in der EU eine der schlimmsten und unmenschlichsten ist. Wir sind entsetzt über den Tod so vieler Menschen bei dem Bootsunglück südlich des Peloponnes.

Der Abschied vom Peloponnes ist uns nicht leicht gefallen. In den letzten drei Jahren ist bei uns ein bisschen so etwas wie ein Heimatgefühl entstanden. Aber wir hatten erst einmal keine Zeit, darüber nachzudenken, als wir am 1. Juni in Kyllini ablegten. Eine Dreiviertelstunde lang waren wir damit beschäftigt, den schweren Anker - vermutlich eines Fischerbootes, in den sich unsere Kette verhakelt hatte, wieder loszuwerden. Aber dann: auf nach Zakynthos! Dieses mal haben wir nicht im Haupthafen festgemacht, sondern ganz im Nordosten, in der Bucht von Agios Nikolaos. Bei der Einfahrt in die Bucht überlegten wir noch, ob wir wegen des Schwells nicht besser ankern anstatt an die Pier zu gehen. Die Entscheidung wurde uns von Kosta abgenommen, der mit seinem Schlauchboot heranrauschte und uns an eine Ankerboje lotste. Gute Lösung! Die Boje kostete nichts, aber Essen gehen in Kostas Taverna, das erwartete er schon. Guter Deal!

Am nächsten Tag ging es gleich weiter, vorbei an der schroffen Nordküste von Zakynthos mit vielen Höhlen, nach Nordwesten zur nächsten Insel - Kefalonia. In Argostoli, dem Hauptort, machten wir in der verlassenen Marina fest. Kein Wasser, kein Landstrom, dafür aber Ruhe mit einem schönen Blick auf die Stadt, in die wir über eine lange Steinbrücke (Bosset-Brücke, 750m lang) gelangen konnten. Da lohnte es sich, endlich mal wieder die Farräder herauszuholen.

Inzwischen haben wir hier Einiges unternommen: Fahrradausflug zu den Dolinen. Hier fließt Meerwasser unterirdisch bis auf die andere Seite der Insel. Fahradausfahrt um die Lagune, ein Biotop mit einer herrlichen Pflanzenwelt, Vögeln und Meeresschildkröten.

Und ein besonderes Highlight: Fahrt mit dem lokalen Bus durchs Gebirge und an der spektakulären Westküste entlang nach Fiskardo. In den Hafen von Fiskardo kommen viele Segler. Wir wollen das nicht, denn der Hafen ist ab mittags oft schon voll. Da die Pier in einem Halbrund angelegt ist, ist Ankersalat mit Tauchereinsatz vorprogrammiert. Und wir konnten feststellen, dass es an der Pier laut und trubelig ist. Man fällt aus dem Cockpit direkt auf die Tische in den Tavernas. Haben wir uns alles angeschaut, das reicht. Und wir hatten jeweils eine zweistündige Busfahrt mit schönen und spektakulären Ausblicken. Eine Landfahrt kann auch sehr schön sein. 

Ja, in Pylos kann man auch das Poros-Syndrom bekommen. Wir sind dort ein paar Tage geblieben. Hatten Besuch an Bord von unseren Freunden Jürgen und Gisela, sind schön zusammen Essen gegangen.

Wir haben bei Regenwetter den Nestor-Palast besucht. Beeindruckend, was dort zu mykenischer Zeit alles entstanden ist - die Gebäude, aber auch die gesellschaftlichen Strukturen und das soziale Leben.

Es gab nur einen Bus dorthin. Zurück sind wir in den Bus einer französischen Reisegruppe gestiegen. Einfach mal wieder Glück gehabt. Zum Abschied haben wir nochmal schön in der Bucht geankert und den grandiosen Sternenhimmel bewundert.

Dann haben wir die bizarren Felsen, die die Bucht nach Westen hin begrenzen, aufs Korn genommen und sind durch die Engstelle hindurch gefahren. Unter Segeln war uns das zu riskant. Aber dafür haben wir ja unseren Nannidiesel im Keller. 

Nächster Stopp: Kiparissia. Wir kennen den Ort und den Hafen schon ganz gut von zwei früheren Besuchen. Sieben große Meeresschildkröten im Hafenbecken konnten wir beobachten. Der Aufstieg zur Burgruine über dem Ort hat sich gelohnt - wegen des tollen Ausblicks und wegen der Bar, in der wir bei unserem ersten Besuch 2020 so gerne gesessen hatten. Neu entdeckt haben wir „The Old Watermill“ im Hinterland. Früher gab es in dem fruchtbaren Tal bei Kiparissia mehrere mit Wasser betriebene Mühlen. Eine ist noch in Betrieb. Hier wird Korn gemahlen und zu leckeren herzhaften und süßen Kuchen verarbeitet, von denen wir natürlich probiert haben.

Dann: Leinen los und weiter nach Norden entlang der Westküste des Peloponnes. Leichtwindsegeln mit halbem Wind. Eine Bekannte von uns nennt das auch „Damensegeln“. Mit unserem 16-Tonnerr kommen wir bei einem solch leichten Wind (max. 13 Knoten) trotz Vollzeug nur langsam voran. Nächster Hafen: Katakolon: Von hier aus sind wir 2020 mit dem kleinen Zug zum antiken Olympia gefahren. Das hatten wir dieses Mal nicht vor. War auch gut so. Der Hafen war rappelvoll, es gab nur noch eine kleine Lücke, in die wir aber rückwärts mit Seitenwind nicht hineinkommen konnten. Also Anker wieder hoch und raus in die Bucht. Da mussten wir aber vorher noch eine kleine Extra-Aufgabe erledigen und die Ankerkette eines anderen Bootes, die wir mit unserem Anker aufgefischt hatten, loswerden. Damit haben wir ja vor allem im letzten Jahr in der Ägäis schon einige Erfahrungen gesammelt. War schnell erledigt. Belohnung: eine schöne ruhige Ankernacht in der Bucht und kein Ankersalat am nächsten Morgen, als wir wieder los wollen, um weiter nach Norden zu segeln. Ziel: der Hafen von Kyllini im Nordwesten.

Wieder schönes Leichtwindsegeln zwischen dem Peloponnes, über dem sich wie in den letzten Tagen jeden Tag die Gewitterwolken auftürmen, und der Insel Zakynthos. Und in Kyllini finden wir eine Lücke an der Pier. Hier legen wir einen Ruhetag - nein Arbeitstag - ein: Boot gewaschen, uns gewaschen, Lebensmittelvorräte beschafft. Und natürlich Fisch fürs Abendessen gekauft. 

Und wo soll es morgen hingehen? Von Kylinni aus gibt es viele Optionen, in die Ionischen Inseln zu segeln. Wir werden heute Abend unsere Wind- und Wetterfrösche fragen, eine Entscheidung treffen, wohlwissend, was uns unser Freund Mats aus Messolonghi geraten hat: “Don’t trust an App.” Mal sehen, wohin der Wind uns bläst.